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Erbschaftsteuerbefreiung für das Familienheim – insbesondere Nutzung durch den Erwerber

Ein Urteil des Bundesfinanzhofs aus Dezember 2021, das nun im Juli 2022 veröffentlicht wurde, ist Anlass, Ihnen die Erbschaftsteuerbefreiung für ein sogenanntes Familienheim darzustellen.

 

Gesetzliche Regelung

 

Der Hintergrund ist die gesetzliche Regelung des § 13 Abs. 1 Nr. 4c S. 1des Erbschafts- und Schenkungssteuergesetzes (ErbStG). Danach bleibt unter anderem der Erwerb von Todes wegen des Eigentums an einem im Inland belegenen bebauten Grundstück durch Kinder im Sinne der Steuerklasse I Nr. 2, soweit der Erblasser darin bis zum Erbfall eine Wohnung zu eigenen Wohnzwecken genutzt hat oder bei der er aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert war, die beim Erwerber unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt ist (Familienheim) und soweit die Wohnfläche der Wohnung 200 m² nicht übersteigt, steuerfrei.

 

Voraussetzungen

 

Voraussetzungen für die Steuerfreiheit sind also:

  • Erwerb von Todes wegen (also keine Übertragung unter Lebenden)
  • bebautes Grundstück im Inland
  • Erwerb durch ein oder mehrere Kinder
  • Selbstnutzung durch den Erblasser zu Wohnzwecken entweder bis zum Tode oder bis zu dem Zeitpunkt, an dem aus zwingenden Gründen eine Hinderung an der Selbstnutzung zu Wohnzwecken vorlag (zum Beispiel notwendige Versorgung in einem stationären Pflegeheim)
  • Selbstnutzung durch den Erwerber zu Wohnzwecken für einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren
  • dabei ist der hier begünstigte Teil auf 200 m² beschränkt, darüber hinausgehende Wohnfläche ist nicht mehr begünstigt

 

Nutzung durch den Erwerber

 

Eine der Voraussetzungen ist also die Selbstnutzung durch den Erwerber zu Wohnzwecken, mindestens für einen Zehnjahreszeitraum.

 

Dies bedeutet, dass die begünstigten Erwerber in der erworbenen Wohnung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken aufnehmen müssen – als angemessen wird hier regelmäßig ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall betrachtet – und diese Wohnnutzung auch mindestens zehn Jahre aufrechterhalten muss.

 

Hier wiederum wird es jedoch als unschädlich betrachtet, wenn der Erwerber aus objektiv zwingenden Gründen an der Nutzung gehindert ist. Und genau hierzu hatte der Bundesfinanzhof einen Fall zu entscheiden.

 

Im dortigen Fall war die Klägerin Alleinerbin nach ihrem verstorbenen Vater und zum Nachlass gehörte unter anderem ein Grundstück mit einem 1951 erbauten Einfamilienhaus. Dieses Einfamilienhaus bewohnte die Klägerin selbst bereits vor dem Todesfall gemeinsam mit ihrem Vater und wohnte auch nach dem Todesfall weiterhin im Obergeschoss. Demgemäß berücksichtigte das Finanzamt zunächst auch die oben dargestellte Steuerbefreiung des Familienheimes.

 

Rund sieben Jahre nach dem Todesfall zog die Klägerin dann jedoch aus dem Haus aus und das Haus wurde abgerissen. Der Hintergrund war derjenige, dass das Haus aufgrund vieler Mängel nicht mehr bewohnbar war. Die Klägerin machte also geltend, sie sei aus zwingenden Gründen an der Selbstnutzung gehindert gewesen, da das Haus wegen seines baulichen Zustands überhaupt nicht mehr nutzbar war. Zum anderen hätte sie angesichts ihres Gesundheitszustands sich kaum mehr alleine im Haus bewegen können und sei daher von der im Haus bewohnten Obergeschoss-Wohnung in eine andere Wohnung im Erdgeschoss umgezogen.

 

Die alles entscheidende Frage war also, ob die hier geschilderten Umstände solche vom Gesetzgeber anerkannten zwingenden Gründe für die Nichtnutzung waren, sodass es bei der Steuerbefreiung bleibt oder aber aufgrund Verstoßes gegen die Zehnjahresnutzungsvorschrift die Steuerbefreiung (rückwirkend) zu versagen war.

 

Der Bundesfinanzhof führt in seiner aktuellen Entscheidung dazu aus, dass die Steuerbefreiungsvorschrift eng auszulegen sei. In dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal „aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken gehindert“ müssen sich die Hinderungsgründe auf die Selbstnutzung des betreffenden Familienheims beziehen. Ob der Erwerber an einem anderen Ort einen Haushalt führen könne, ist nicht entscheidend. Es käme also nicht auf eine generelle objektive Unmöglichkeit an, selbständig einen Haushalt zu führen schlechthin, sondern darauf, ob dies in dem individuell betroffenen Familienheim möglich sei.

 

Dass das Familienheim im Rahmen der erbschaftssteuerlichen Regelungen überhaupt begünstigt ist, hat den Hintergrund, dass das Familiengebrauchsvermögen erhalten und der gemeinsame familiäre Lebensraum geschützt werden soll. Bei Aufgabe der Selbstnutzung fällt dieses Schutzziel fort. Soweit das Gesetz aus Billigkeitsgründen zu Gunsten eines Erwerbers den Nachversteuerungstatbestand jedoch mit einer Rückausnahme wegen einer Zwangslage versieht, kann diese sinnvoll nur so verstanden werden, dass sich die Zwangslage gerade auf das nicht mehr erfüllte Tatbestandsmerkmal mit dem entsprechenden Schutzziel bezieht. Das ist die Selbstnutzung des individuellen Familienheims mit dem familiären Lebensraum.

 

Für eine unschädliche Aufgabe der Selbstnutzung muss der Erwerber also aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung des betroffenen Familienheims zu eigenen Wohnzwecken gehindert sein. Es reicht nicht aus, wenn sich der Erwerber nur aufgrund persönlicher oder wirtschaftlicher Zweckmäßigkeitserwägungen gehindert fühlt.

 

Das Merkmal „zwingend“ schließt Gründe aus, kraft derer die Beendigung der Selbstnutzung aus Sicht des Erwerbers nachvollziehbar und auch verständig scheint, jedoch Gegenstand einer freien Entscheidung ist. Es gehört dann zur privaten Lebensgestaltung des Erwerbers, ob und wie er das Familienheim nutzen möchte. Das ist insbesondere der Fall, wenn es nach Art und Gestaltung nicht den persönlichen Vorstellungen entspricht.

 

Hingegen ist der Erwerber aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung des Familienheims zu eigenen Wohnzwecken gehindert, wenn diese ihm unter den konkreten Umständen objektiv unmöglich oder unzumutbar wird. Das entspricht dem Billigkeitscharakter der Vorschrift.

 

Zwingende Gründe liegen vor, wenn dem Erwerber die Selbstnutzung des Familienheims objektiv unmöglich wird, sie sind jedoch nicht auf diese Fälle beschränkt. Dies zeigt bereits das vom Gesetzgeber genannte Beispiel der Pflegebedürftigkeit, denn auch diese begründet regelmäßig keine völlige objektive Unmöglichkeit. Die Pflege kann im allgemeinen auch mithilfe entsprechender Dienste im eigenen Heim durchgeführt werden. Vielmehr ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn dem Erwerber aus objektiven Gründe die Selbstnutzung des Familienheims nicht mehr zuzumuten ist. Dabei ist ein strenger Maßstab anzulegen, um eine verfassungswidrige Begünstigung zu vermeiden. Ein abgeschlossener Katalog von Gründen besteht jedoch nicht.

 

Nach diesen Kriterien kann ein zwingender Grund auch vorliegen, wenn der Erwerber zwar unter Zuhilfenahme externer Hilfe- und Pflegeleistungen in der Lage ist, weiter in dem erworbene Familienheim zu leben, diese jedoch ein solches Ausmaß annehmen, dass nicht mehr von einer selbständigen Haushaltsführung des Erwerbers in dem betreffenden Familienheim gesprochen werden kann. Vermag der Erwerber den Lebensraum nicht mehr aus im Wesentlichen eigener Kraft auszufüllen, ist das Familienheim zur reinen äußeren Hülle entwertet.

 

Dabei stellt der Bundesfinanzhof klar, dass allein der bauliche Zustand des Gebäudes noch keinen zwingenden Grund für die Aufgabe der Selbstnutzung darstellen kann. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um Wirtschaftlichkeits- und damit Zweckmäßigkeitserwägungen, denn der bauliche Zustand kann grundsätzlich auch veränderten Lebensumständen angepasst werden.

 

Im Ergebnis ist also im Einzelfall konkret die Frage danach zu beantworten, ob zwingende Gründe für die Aufgabe der Wohnnutzung bestanden, oder seitens des Erwerbers gangbare und zumutbare Alternativen zur weiteren Nutzung bestanden.